Beschreibung
Ungedruckter, außerordentlich seltener, sehr ausführlicher und detailreicher Brief, kurz nach Wagners Rückkehr aus dem Exil, am Tag der Audienz bei Augusta von Preußen, die sich für ihn eingesetzt hatte. An Wagners „alten Dresdner Freund“ (Glasenapp) Adolf Julius Rühlemann in Dresden, u. a. über die Partitur des „Fliegenden Holländers“ und „Lohengrin“: „[…] In Darmstadt traf ich nämlich die Abmachung wegen des fliegenden Holländers. Seien Sie doch so gut, zu betreiben, dass baldmöglichst eine berichtigte Partitur des ‚fliegenden Holländers‘ an die grossherzogl. Hoftheaterdirection in Darmstadt abgesandt werde. Die an Herrn Mehner zu erstattenden Copiekosten werde ich demselben sofort nach erhaltener Bemerkung anweisen. Das von mir eigenhändig eingerichtete Muster-Exemplar gehört mir […]. Mit meinen Abmachungen mit Herrn H. Müller habe ich jedoch diesem ein Exemplar mit dieser Partitur zur Disposition zu überlassen: Somit möge dieses Exemplar als zu dessen Disposition stehend betrachtet werden. Ist sonst gar kein Exemplar mehr vorhanden? Jedes andre Exemplar würde nämlich als mein Eigenthum zu betrachten sein. – Bitten Sie doch auch Herrn Müller, der Zusendung der Partitur an die Darmstädter Intendanz zwei Exemplare des Klavierauszuges derselben Oper beizulegen, welche mit dem gewöhnlichen Rabatt der Musikhändler unter sich, also mit 4 Thaler per Exempl. berechnet werden möchten […]. Herrn Km Rietz’s Wünsche in bezug auf einige tempi des Lohengrin wüsste ich nicht füglich zu entsprechen: die bestimmteste Erfahrung hat mir gezeigt, dass denjenigen Dirigenten, der das richtige Tempo nicht schliesslich von selbst fühlt, dieser durch keinerlei Metronom auch beigebracht werden kann. Irrthum ist hier zu leicht, und da, wo es um ein sehr feines mehr oder weniger ankommt, kann nichts entscheiden, als das eigene Gefühl. […] Ueber den Character der mir wiederfahrenen Vergünstigung sind Sie nun wohl völllig aufgeklärt, und wissen, dass ich von der Sächsischen Regierung keinesweges amnestiert bin, sondern von ihr nur die Zusicherung erhalten habe, unter bestimmten Bedingungen gegen meinen Aufenthalt in den andren deutschen Bundesstaaten keine Schwierigkeiten erheben zu wollen. Damit ist an ein Wiedersehen in Dresden sobald wohl noch nicht zu denken […]“. – Am 22. Juli 1860 erfuhr Wagner vom sächsischen Gesandten in Paris von der am 15. Juli durch König Johann I. von Sachsen verfügten Teilamnestie, die Wagner zumindest den Aufenthalt in den nichtsächsischen Mitgliedstaaten des Deutschen Bundes ermöglichte. Am 12. August, fünf Tage vor dem Verfassen des vorliegenden Briefes, „überschreitet Wagner erstmals seit 1849 die deutschen Grenzen und trifft in Bad Soden ein“ (Gregor-Dellin). am 16. August besuchte er Darmstadt, worüber er hier berichtet, am 17. August wurde er in Baden-Baden von Augusta von Preußen empfangen, bei der erisch für deren Mithilfe an der Amnestie bedankt. – Wagner vollendete die Urfassung seiner Oper „Der fliegende Holländer“ 1841. Die Uraufführung fand am 2. Januar 1843 in Dresden statt, aber schon nach 4 Aufführungen wurde das Stück wieder vom Spielplan genommen. 1860 überarbeitete Wagner die Urfassung, insbesondere Ouvertüre und Schluss. – Der Komponist und Dirigent Julius Rietz (1812-1877) war ein vehementer Gegner der sogenannten ‚Neudeutschen Schule‘ bzw. der ‚Zukunftsmusik‘, die insbesondere von Richard Wagner und Franz Liszt vertreten wurde. Nach einer nicht sehr erfolgreichen Lohengrin-Aufführung 1854 in Leipzig trat Rietz von seinen dortigen Ämtern zurück und widmete sich nur noch dem Komponieren und der Herausgabe von Werken, u. a. von Mendelssohn und Mozart. – Vgl. WBV 2826 (listet Auktionen) und Amtmann 1411 (kennt den Brief nicht: „ergibt sich aus 1412“); zu Wagner und Rühlemann vgl. Glasenapp, Das Leben Richard Wagners, Bd. III, S. 330; Martin Gregor-Dellin, Wagner Chronik, München 1972, S. 93.