Beschreibung
Wunderbare Komposition in vierstimmigem Chorsatz als Liedertafelgesang mit hinreißendem Goethe-Bezug! – Die Wurzeln dieser Komposition liegen in Goethes Römischem Aufenthalt und seinen „Römischen Elegien“ (1788-90). Zu Beginn der 15. Elegie („seid mir gegrüßt ihr Schenken | Osterieen, wie euch schicklich der Römer benennt“) schildert er ein Treffen mit einer Liebsten, begleitet vom wachsamen Oheim und ihrem Kleinkind. Auf einem Tisch verschüttet die Serviererin Wein und schreibt mit dem Finger ihren Namen und die Uhrzeit für ein Schäferstündchen auf. Diese Textpassage „wurde zum Anknüpfungspunkt ausgedehnter biographischer Spekulation […] Die Szene soll sich in der Osteria alla Campagna (oder della Campana oder Campanella) an der Piazza Montanara beim Marcellus-Theater abgespielt haben. Das hatte Wilhelm Müller […] mitgeteilt (vgl. auch Friedrich Förster, Briefe eines Lebenden, Berlin 1831, Bd. II, S. 460)“ (Goethe, Gedichte 1756-1799, hrsg. von Karl Eibl, 1987, Kommentar S. 1120). Derselbe Friedrich Förster (1791-1868), ein Mitglied der „Berliner Liedertafel“, dessen Gedichte Reichardt und Zelter zur Komposition anregten, hat als Frucht eines Besuchs in Rom und der genannten Osteria das Gedicht „Die Campanella“ zu Goethes Geburtstag am 28. August 1830 verfaßt („Es rufen in dem alten Rom | Wohl viele tausend Glocken, | Doch laß ich selbst vom Petersdom | Mich nicht zu sehr verlocken.| Ein Glöcklein nur mit hellem Klang | Hat solchen wunderschönen Sang, | Ich kann nicht widerstehen | Muß immer nach ihm gehen, | Das ist die Campanella! […] Sankt Wolfgang der soll leben | Hier in der Campanella!“ Dieses Gedicht veröffentlichte er zu Goethes 81. und Zelters 71. Geburtstag im „Berliner Musen-Almanach für 1831“, hrsg. von Moritz Veit (Berlin 1831, erschien im Herbst 1830, S. 128) mit der Fußnote: „Goethe’s berühmte Osterie, eine Weinschenke nahe bei dem Tarpejischen Felsen in den Substructionen des Theaters des Marcellus. Sie führt im Schilde eine Glocke, wovon sie ihren Namen erhalten hat.“ Sowohl Goethe als auch Zelter fanden Gefallen an dem Gedicht. In einem Brief Goethes vom 5. Oktober 1830 bat er seinen Freund Zelter, den Text zu komponieren, um ihn in der 1829-31 von seiner Schwiegertochter Ottilie herausgegebenen Zeitschrift „Chaos“ zu veröffentlichen: „Die Campanella haben sie in’s Chaos aufgenommen, schicktest du die Composition dazu so sähe man doch einmal ein Notenblatt.“ (WA 47/236). Zelter antwortete zwar umgehend: „Die Musik zur Campanella gebe ich recht gerne ins Chaos, ich will sie nur erst hören ob sie giebt was ich ihr eingegeben. Sage mir den letzten Termin wenn Du sie haben mußt.“ Dann aber ließ er sich Zeit bis zum 10. Mai 1831, um den Freundeswunsch zu erfüllen und schrieb: „Du wünschtest ja wohl die Composition der Campanella zu haben, die ich Dir in Partitur beylege. Das Tempo muß sich der Solosänger nach gemäßer Empfindung bestimmen, und die bewegung bleibt sich dann bis ans Ende gleich.“ (Bw Goethe-Zelter Nr. 546). Daher wurde das Gedicht Försters bereits in Nr. 45 des ersten“Chaos“- Jahrgangs abgedruckt, während die Musikbeilage nachträglich mit Nr. 1 des zweiten Jahrgangs geliefert wurde. Da in Goethes Nachlaß keine Partitur überliefert ist, wurde das Autograph wohl nach dem Druck an Zelter zurückgeschickt. In seinem Nachlaß hat sich die Urschrift erhalten und kann nun zum ersten Mal angeboten werden. – Zelter stand seit 1799 „in Verbindung mit Goethe, der seinen kraftvoll-männlichen, energischen und urwüchsigen Charakter und seinen breiten künstlerischen Interessenkreis zu schätzen wußte, seine Sensibilität hinter der mitunter derben Fassade erkannte und sich sein musikalisches Urteil zu eigen machte.“ (Wilpert, Goethe-Lexikon, 1215). – Gut erhalten. – Musikmanuskripte Zelters, noch dazu mit so schönem Goethe-Bezug, sind von allergrößter Seltenheit.