Beschreibung
Inhaltsreicher Brief an den kaiserlichen Obersthofmeister Rudolph von Liechtenstein (1838-1908) auf Schloß Neulengbach bei Wien, der seit Wagners Wiener Zeit (1861-1863) ein Bewunderer und Förderer des Komponisten war: „Seit gestern […] ist der Schneider mit dem Anzug für ‚Odalrich‘ fertig, und wartet mit Verzweiflung auf den in Leipzig bestellten […] Pelz, welcher noch immer nicht kommen will […] Es ist noch nicht eine Woche, dass wir nach ‚Wahnfried‘ heimgekehrt, und mir ist es als ob wir es eigentlich nicht verlassen hätten, wenigstens ist alles Ueble, welches unser Meister wiederum erfahren musste, für die Empfindung vollständig verschwunden: gänzlich von Zeit und Raum losgelöst, leben in mir nur einzelne Eindrücke, die Klänge aus Lohengrin tönen in mir fort, ich sehe noch immer den h. Franciscus – (das entrückte nicht blickende Auge, der offene stumme Mund, diese ganze Versteinerung des Willens, ‚Schweigen der Seele zu welcher Gott spricht‘ sagten die Mystiker) – dann auch verschiedene heitere Motive lachen im Echo fort, ich wäre aber verlegen, wenn ich mittheilen sollte was Widerwärtiges denn vorgekommen. Ich glaube dass diess die heilende Macht des abgeschiedenen regelmäßigen Lebens ist; es fehlt jetzt auch sicherlich nicht an Schwierigkeiten und Schwerheiten, doch werden sie minder gefühlt, und es kommt mir das Leben hier vor, wie ein klares Wasser wo alles Schlimme in der Tiefe ruht, wachend oder schlafend, während in der grossen Stadt das Leben zu einem sumpfigen Wasser wird, welches das Ueble wie jene grünen Morastblüthen überdeckt. – Unser Gärtner empfing mich hier mit einem Strauss von ‚Chrysanthemen‘, und die drei Hunde, jeder mit verschiedenen Schleifen geschmückt, warfen uns um, während Dienerschaft und Kinder abwechselnd weinten und schrien […] Als ich in das Zimmer trat wo Wagner arbeitet, und die entlaubten Bäume sah, welche wie eingeschlafene Schildwachen davor stehen, von welchen man weiss, sie erwachen einst, und schützen jetzt doch, dankte ich der Gottheit welche es doch fügte dass der in unsere Welt verbannte Genius diese Stätte gefunden! [Über Weihnachtsvorbereitungen und das Geschenk einer Palme für Richard Wagner …] Sie haben mir zwar gesagt dass Ihnen nichts gefällt was anderen gehört, doch wage ich zu behaupten dass ‚Wahnfried‘ Ihnen selbst im Winter gefallen würde. Bei den grossen Aufführungen (so diese stattfinden, und Sie ihnen beiwohnen) führt man nur ein Nirvanaleben, es ist ein vollständiges Nichtsein, wobei ‚Wahnfried‘ zum Wahntumult wird [ …] Haben Sie ‚Lohengrin‘ noch ein Mal gesehen, und wie ging er und es? Tempi? Scenerie? – Erzählen Sie bitte, recht eingehend davon. Auch (aber nicht eingehend) ob Aspasia [Roman von Robert Hamerling] lesbar ist […] Ich hoffe aber dass Sie an Ihre Brust schlagen und Ihr Mea culpa sagen, wenn man die Juden emancipirt hat, und dem Christenthum valet sagt, wie will man da ein gutes Jesuskindchen erwarten – ich hoffe aber noch auf Knecht Ruprecht […]“ – Nach der Rückkehr aus Wien geschrieben, wo Wagner die Neuinszenierungen von „Tannhäuser“ und „Lohengrin“ betreut hatte.