Beschreibung
Wichtiger Brief an seinen Freimaurerfreund Hermann Schützinger (1888-1962) in Berlin-Schöneberg: […] ich war lange auf Reisen und habe mich erst seit kurzem festgesetzt, um zu arbeiten. Also: Ich verstehe Ihre Gründen [so!], aus denen Sie den ‚Letzten Ruf‘ gekürzt haben, durchaus – aber ich missbillige sie. Lieber Freund Schützinger, begreifen Sie doch nur, was ich gern möchte-: Was die Provinz nicht versteht, da soll sie nicht lesen. Mir ist da keineswegs zu helfen – ich will und mag nicht zurechtgestutzt werden, und ich bin grundsätzlich gegen die Taktik, ‚wenigstens einen Teil zu retten‘. Vom jungen Ebert will ich nicht einmal reden. Ich kann ihm seine Gegnerschaft gar nicht verdenken – er wäre ja ein schlechter Sohn … Aber mit mir hat das gar nichts zu tun. Ich kann mir allenfalls, und wenn das sehr behutsam gemacht wird, denken, dass man mal eine fremdartige Wendung verdeutscht; ich bin kein Bildungsprotz und glaube nur, dass es Fremdwörter und Anspielungen gibt, die ein ganzes Bildungsgebiet aufreissen und die man nicht verdeutschen kann. Soweit es aber an die Gesinnung geht, da ist es aus. Nochmals und nochmals: ich verstehe Sie, kritisiere Sie und Ihre Haltung nicht, nicht einmal die der Parteifunktionäre, die ihre Gründe haben werden, diese oder jene Anspielung, Sexualia oder sonst etwas nicht durchzulassen. Dann sollen sie mich nicht drucken! Ganz oder gar nicht-: wenn diese Leute zweitklassig sind, dann mögen sie es bleiben; ich will aber gewiss nicht mithelfen, im Sinne gewisser verschmierter ‚Volkshochschulen‘ ‚Missverständnisse‘ abzudrehen. Das sind keine. Es ist bitterste und klarste Gegnerschaft, und das drückt sich auch in der Terminologie und, natürlich, im Stil aus. Facit: Bitte nie wieder. Wir stehen zu gut miteinander, als dass ich Ihnen eines Tages einen feierlichen Brief schreiben müsste, mit allen jenen Folgerungen, die mehr noch als unsern Beziehungen der Sache schaden, die wir – trotz allem – gemeinschaftlich vertreten. Bitte, nie wieder […]“ – Der Schriftsteller und bayerische Offizier Hermann Schützinger war Mitglied der SPD, Mitarbeiter der Weltbühne und Polizeimajor im preußischen Polizeidienst sowie ab 1923 Polizeioberst und Chef der sächsischen Landespolizei. Nach 1933 ging er in die Emigration. – Tucholsky hat hier zu seiner Unterschrift das Freimaurerzeichen (drei Punkte) hinzugesetzt, denn Schützinger war, ebenso wie Tucholsky, Freimaurer. Briefe, die Tucholsky mit den drei freimauerischen Punkten unterschrieb, sind im Handel kaum zu finden (wir danken Roland Templin für wichtige Hinweise). – In der Gesamtausgabe der „Texte und Briefe“ in Bd. XV unter Nr. B 168 gedruckt.