Beschreibung
Hochinteressanter und äußerst wichtiger Brief an den späteren bayerischen Ministerpräsidenten Kurt Eisner (1867-1919) mit der Bitte, „sich zu der folgenden Angelegenheit beurtheilend und rathend auszusprechen“: „[…] Frau Hertha König geht mit dem Plan um, durch ihr eigenes Beispiel eine größere, freiwillige Stiftung anzuregen, deren Zweck es werden soll, den vielen in Noth Gerathenen eine unmittelbare, sofort wirksame Hülfe zu gewähren; da sie, vor etwa einem Monat, eben dabei war, einen in diesem Sinne bewegenden Aufruf abzufassen […] sah sie sich durch eine Zeitungs-Notiz darauf hingewiesen, daß ein Graf Baudissin zu Stolp in Pommern die Verwirklichung einer sehr ähnlichen Absicht eben in die Hand genommen habe. Es lag nahe, sich mit diesem Mann in Verbindung zu setzen; an ihn war der […] Brief gerichtet, aus dem Sie Wesen und Temperament des eigentlichen Impulses, wie er in Frau Koenig aufgekommen war, einigermaßen erkennen mögen. Die Baudissin’sche Idee hat inzwischen […] zur Gründung des so genannten ‚Heimatheeres‘ zunächst im Kreise Stolp Anlaß gegeben und es steht nun zur Erwägung, ob Frau Koenig etwa, nach dem Vorbild dieser Realisierung, im Kreise Herford in Westphalen, in dem ihr Gut Böckel gelegen ist, eine verwandte Bewegung anzuregen, sich entschlossen fände. Da erwies es sich, gleich auf den ersten Blick, daß diese von einem Gutsherren ausgehende und durch einen meist aus Gutsbesitzern und Regierungsbeamten gebildeten Ausschuß gelenkte Wohlfahrtseinrichtung die viel freieren und volkthümlicheren Intentionen der Frau Koenig nicht lebendig und eindringlich genug zu verwirklichen geeignet sein könne. Beachten Sie […] die genau ausgesprochene Absicht, daß Geben und Nehmen hier nur in einem, das Volk wirklich berührenden Sinne verstanden sein könne und daß den Vertretern des Volkes selbst die Verantwortung für eine richtige und eingehende Vertheilung aufzuerlegen wäre […] Schiene es Ihnen verlorene Zeit, irgendwann eine halbe Stunde der Besprechung dieser wahrscheinlich sehr komplizierten Möglichkeit zu widmen? Ich kann mir nicht anders denken, als daß Sie dieser, natürlich wenig orientierten, aber von dem lautersten und ungeduldigsten Willen erfüllten Frau, allein schon durch die Art wie Sie ihn auffassen, ihren eigenen Plan in einer neuen Gestalt und Lebendigkeit zurückgeben könnten […] Zum Schluß muss ich mich entschuldigen, daß ich mich getraue, an unsere ganz flüchtige Begegnung einen solchen Anspruch anzuschließen […]“ – Rilke war Eisner wohl bei einer seiner politischen Abende im Gasthaus „Zum goldenen Anker“ begegnet. Eisner organisierte im Januar 1918 den Streik der Münchner Munitionsarbeiter, wurde aber am 31. Januar 1918 in München verhaftet und zu einer Gefängnisstrafe verurteilt. Im November 1918 wurde er der erste Ministerpräsident des Freistaates Bayern. – Hertha Koenig (1884-1976) hatte 1910 Rilke in Berlin bei dem Verleger Samuel Fischer kennengelernt. 1915 lebte sie mit Rilke im selben Haus in der Münchner Widenmayerstraße 32 (vgl. Heißerer, Geister, S. 236 f.), im Jahre 1917 besuchte Rilke die Dichterin auf ihrem Gut Böckel. Sie baute, nicht zuletzt auf Rilkes Rat hin, eine bedeutende Kunstsammlung auf. Unter anderem erwarb sie auf seine Empfehlung das Picasso-Gemälde „La famille des saltimbanques“. Rilke widmete ihr die durch dieses Bild angeregte fünfte der „Duineser Elegien“ und nannte sich „Wächter am Picasso“. – Teildruck bei Schnack, Chronik, S. 587 f. Druck (nach einer Kopie) bei Storck, Rilkes Briefe zur Politik unter Nr. 96. – Minimal knittrig. Sehr schön erhalten.