Beschreibung
Von seiner zweiten Schweizer Reise an den Jurastudenten J. M. Reichenberger in Grötschenreuth, dem er seine Reiseeindrücke schildert: „Dein Brief kam später nach Genf als ich, und wurde mir hieher nachgeschickt. Ich befinde mich seit einer Woche auf einem sehr schönen Landgute am Ufer des Sees, dessen östliche Hälfte bei weitem malerischer ist, als die Seite, an welcher Genf liegt. Meine Reise ging von Lindau aus durch Vorarlberg, das Fürstenthum Lichtenstein nach Graubünden, über den Bernhardin in den Canton Tessin, durch das Piemontesische über den Simplon nach Wallis, über Martigny nach Savoyen ins Chamonixthal und von da nach Genf, und mit dem Dampfboot hieher. Uebermorgen gehe ich über Milden und Murten nach Bern. Ich wünsche, daß du mir nach Empfang dieses nach Stuttgardt (poste restante) schreibst, wo ich in der letzten Hälfte Oktober seyn werde. Der Fremde, den wir in Nürnberg für den […] hielten, war ein Schwede, ein Bekannter und Universitätsfreund Kernell’s. Die Vorhersagung wenige Tage vor meiner Abreise von Erlangen, daß ich in 14 Tagen unter Lorbeern wandeln würde, ist buchstäblich eingetroffen, denn es war am zehnten dieses Monats, als ich zuerst im Garten eines Franziskanerklosters zu Locarno in eine Lorbeerlaube trat, welche die Aussicht auf den Lago maggiore darbietet. Kunstwerke darf man in der Schweiz nicht suchen. Es befindet sich eine Gemäldesammlung auf Isola bella, die aber bis auf sehr Weniges, keineswegs an Italien erinnert. Der Dom von Lausanne ist merkwürdig, so wie auch die Architektur der alten Veste Chillon, am östlichsten Ende des Genfersees. Statt von der Reise nach Rom zu träumen, wünschte ich eher, daß du sie möglich machst, und mit den deinigen darüber Rücksprache nimmst. Das Studium des Italiänischen empfehle ich angelegentlich, so wie überhaupt der bekanntesten neuern Sprachen, die, selbst vom Literarischen abgesehen, bei jedem Gebildeten in unsrer Zeit vorausgesetzt werden. Sogar meine gegenwärtige Reise von wenigen Wochen, und mein hiesiger Aufenthalt würde mir, ohne Französisch zu sprechen, unmöglich seyn; ich würde mich die Tage, die ich im Canton Tessin und Piemont zubrachte, ohne das Italienische übel befunden haben, und das Verständniß des Wnglischen war mir in einem Lande höchst willkommen, wo man beinahe eben so viele Engländer als Eingeborne findet. Für Einen vollends, der wie Du nach einer ästhetischen Bildung strebt, ist die Kenntniß dieser wie anderer Sprachen durchaus nothwendig, wenn er sich einen Begriff von der poetischen Entwicklung der Nationen des neuern Europa’s verschaffen will, die, wie Alles, nur im Zusammenhang beurtheilt werden kann. Ich wünschte, daß Du die Reise nach Prag ausführen mögest, da diese Stadt äußerst merkwürdig ist. In jedem Falle hoffe ich in Stuttgardt einen Brief von Dir zu finden […]“ – In der Briefausgabe von Bornstein nicht gedruckt. – Gut erhalten