Beschreibung
An den Architekturzeichner, Maler und Dichter Hermann Finsterlin (1887-1973) in Stuttgart: „[…] hier bin ich also gelandet. Hatte vor, nach Holland zu gehen, aber ein freundliches Angebot von Bekannten verschlug mich ins Blautal, 8 km westl. Ulm. Hier sitze ich nun nach dem exzessiven Berlin in einer gewissen Inselstimmung, habe nun schon die Stille um mich und das telephonlose Dasein überwunden – gerade, wie auch das Glück überwunden werden muß – und lasse mir alle Sünden einfallen, die ich je begangen habe. Da ist die Ihnen gegenüber auch darunter […] ich komme nicht los von dem Gedanken, was Sie jetzt tun. Die Verhältnisse sind unerbittlich. Ich bin gewohnt der Wirklichkeit an den rauhen Leib zu gehn. Viel lieber, als daß sie den Spieß umkehrt. Aber -. Ich werde nun von Ihnen nicht verlangen, daß Sie das auch tun oder nur versuchen sollen. Aber als Ihr Freund, der Ihnen herzlich wohl will, muß ich Sie zu bestimmen versuchen. Das wird vielleicht hart klingen, aber ich denke, Sie werden sich von mir aus nicht für unverstanden halten. Sie führen ein Leben intensiv und voll Durst nach allen Seiten. Ich aber glaube, daß bei der Problemfülle des menschlichen Daseins jeder nur eine Fahrt machen darf, um von ihr aus alle zu begreifen. Also Konzentration auf ein Gebiet, eine Kunst, die, was sie auch sei, immer den ganzen Menschen erfordert. Wird der rücksichtslos, schlicht und grundehrlich, ganz und dauernd eingesetzt, so segnet die Arbeit sich selbst. Diese Forderung enthält die ganze Moralität aller Lebenserfahrung und Maximen. Die melodische Linie ist auch ohne Registerziehen eindeutig und elementar. Wenn Sie mich aufforderten, Ihnen aus der Kenntnis Ihrer vielfältigen Begabungen zu raten, so würde ich sagen, bleiben Sie, werden Sie Maler. Aber mir allen Pinseln, Tuben und Konturen. Werden Sie Dichter, aber mit allem Wort, mit jeder Geste und jeder Struktur. Der Grenzbezirk jeder Kunst ist verhältnismäßig eng und klar bestimmt. Aber die Grundelemente des schöpferischen Menschen umgreifen in einer Kunst alle Künste. Die Relation von Größe an des einzelnen Menschen zu seiner Kunst ist ebenso wahr wie bekannt. sind Werte mit gleichem Nenner und gegenseitig bedingt. Brauch ich Ihnen das zu sagen? Dann aber muß es möglich sein und muß gelingen. Man müßte am eigenen Dasein ganz verzweifeln, wenn man dem Anderen nicht helfen kann […]“