Mann, Thomas, Schriftsteller (1875-1955).

Eigenhändiger Brief mit Unterschrift Bad Tölz, 8. IX. 1917, Gr.-8°. 2 1/2 Seiten. Doppelblatt. Mit eigenhändigen Umschlag.

Nicht vorrätig

Beschreibung

Wichtiger unveröffentlichter politischer Brief an den Leutnant Wilhelm Hasselbach in St. Avold in Lothringen, mitten aus der Arbeit an den „Betrachtungen eines Unpolitischen“, seines „alles sagenden, alles klagenden Schmöker[s]“ (30. IV. 1917 an Paul Ammann): „[…] Bei der Beantwortung Ihres freundlichen Briefes muß ich mich leider sehr kurz fassen, da eine weitläufige Arbeit, die ich aus inneren wie äußeren Gründen unbedingt fördern muß, meine Kräfte ganz in Anspruch nimmt. Ich habe den Eindruck, daß der Verfasser jenes Artikels über politische Moral den politischen Führern Deutschlands eine Lektion erteilen wollte, und wirklich, daß diese Männer mit der Moral auf besserem Fuße stehen, als die der anderen Völker, scheint auch mir durch ihr diplomatisches Unglück und die verzweifelte Lage, in die sie Deutschland i. J. 1914 gebracht hatten, erwiesen. Ich meine, man kann über das Verhältnis von Moral und Politik nicht pessimistisch genug denken. Es giebt thatsächlich nur eine [unterstrichen] Politik, die Machiavellis, und solange es überhaupt Politik geben wird, wird es immer diese sein. Vielleicht kommt einmal die Zeit, wo es keine mehr geben wird, d. h. keine Staaten mehr, sondern nur noch einen [unterstrichen] Staat, die organisierte ‚Menschheit‘, und so fragwürdige Seiten dies hätte, – wenn der menschliche Geist die Politik los wäre, so wäre das freilich eine große Befreiung. Sie ist etwas Abscheuliches und daß der Deutsche im Grunde kein Talent dazu hat, ehrt ihn nach meiner Meinung. Die politische Begabung, in England am besten zu Hause, besteht in einer eigentümlichen psychologischen Versöhnung von Tugend und Nutzen, Moral und Geschäft. Es hängt das nahe zusammen mit der ‚Demokratie‘. Man hat jetzt in Deutschland eingesehen, daß ohne Demokratie in der Welt keine Geschäfte mehr zu machen sind, daß man sich anglisieren muß, um Geschäfte zu machen, – aus dieser Einsicht stammt der opportunistische Wille zur deutschen Demokratie … Aber das ist ein unendliches Feld, ich muß abbrechen, nehmen Sie vorlieb! Meine besten Wünsche für Ihre Genesung […]“ – Im Sommer 1917 schrieb Mann das Kapitel „Politik“ der „Betrachtungen“. Unser Brief bildet ein Seitenstück dazu. Der zu Beginn erwähnte Artikel ist möglicherweise: Erich Jung, Politische Moral, in: Süddeutsche Monatshefte, Jg. 14, H. 11, August 1917 (Thema: Aus dem Weltkriege; Dank an D. H.). – Der Adressat, zur Zeit des Briefes im Lazarett in Lothringen, war später Bürgermeister in Falkenstein/Taunus und verfasste eine Broschüre über den Ort. – Ungedruckt, nicht in Reg.