Beschreibung
Sehr umfangreiche Sammlung von Briefen und Manuskripten. – An Wolfram Schütte, Feuilletonredakteur der “Frankfurter Rundschau“, bei Übersendung von Beiträgen, über seine Buchpläne sowie mit persönlichen Nachrichten. – (Berlin) 27. II. 1974: “[…] Ihr Brief vom 7. Jan. 1974 kam gestern! Fast zwei Monate unterwegs! Ein Skandal ohnegleichen. Ich weiss nicht, was ich zu einer solchen Sauerei sagen soll; ich hoffe nur, mein Mitleser – der nun gewiss auch dies hier studiert – wird sich beim nächsten Mal ein bißchen ranhalten und meinen Brief nicht wieder mit in den Urlaub nehmen!!! […] Ja, die Seite mit den Amerika-Stücken war erfreulich. Erfreulicher jedoch Ihre Meinung zur Geheimen Bibliothek […] ich bereite zur Zeit einen Gedichtband für den Herbst […] vor, der mich, uns, wie ich hoffe, im Herbst auf eine Lese-Reise führen wird […] Das Amerikabuch ist fast fertig […] ich wollte immer mal einen europäischen Friedhofsbaedecker schreiben […]“ – 12. V. 1974: “[…] Améry […] hat mir übrigens einen Text (in Briefform) für eine Chile-Anthologie geschickt […] Lefeu habe ich inzwischen auch gelesen: die Verzweiflung kann man schon verstehen, die Unmöglichkeit, über die Vergangenheit hinwegzukommen, das könnte niemand an Amérys Stelle […]“ – San Francisco 21. II. 1977: Er teile Schüttes Optimismus im Blick auf gesellschaftliche Veränderungen nicht. “[…] unabhängig von den letzten und laufenden Ereignissen: unsere Erfahrungen geben keine rechte Grundlage für solche Haltung […] ein bekannter Umstand wiederholt sich nämlich immer: Daß die Vorläufer und Initiatoren gesellschaftlicher Bewegungen als erste unter die von ihnen in Bewegung gesetzte Dampfwalze geraten […] Das Individuum, als ein Produkt langwieriger (und auch schmerzhafter) Differenzierung, bietet die einzige Chance sich kritisch in Bezug zur Gesellschaft zu setzen […]“ – (Berlin) 7. XII. 1977: “[…]Wie es mit der Arbeit weitergehen soll oder wird, ich habe keine Ahnung. Das ‚Englische Tagebuch‘ […] ist überarbeitet und abgeliefert, doch ist nichts an Kraft und Intention nachgewachsen, was mich zu einer neuen Arbeit veranlassen würde. Im Grunde gammle ich nur herum, lese und räume auf: kein erfreulicher Zustand […] Inwieweit das die Auswirkungen einer allgemeinen Lethargie sind, der ich mich als ‚Sohn des Volkes‘ nicht entziehen kann, ist mir ganz ungewiss […]“ – (Itzehoe) 26. X. 1979: Nach seiner Übersiedelung in die Bundesrepublik. “[…] Sie haben es geahnt, inzwischen ist es passiert, soll man es eine notwendige Operation nennen, einen Flug aus dem Kuckucksnest, einen Orts- oder einen Daseinswechel? – wenn man das wüsste […] Hier scheint übrigens seit unserem Eintreffen permanent eine erstaunlich grelle Sonne, ist der Himmel italiänisch und der Wind unaufhörlich. Die Leute rundum, insbesondere die Männer, tragen alle meine Mütze, so daß wir ziemlich doppelgängerisch wirken. Aber das dürfte sich wohl mit der Zeit geben […]“ – Erwähnt ferner u. a. Nicolas Born, Elias Canetti, Erich Fried, Erich Loest und Arno Schmidt. Beiliegend 11 von Kunert gestaltete Grußkarten und Holzschnitte. – „Scharfsinnig, am Schnittpunkt von Ich und Außenwelt, analysiert Kunert die Verirrungen des Zeitgeists, Dummheit und Überheblichkeit des Menschen. Er ist ein Unbestechlicher, der Spontanität ebenso zugetan wie der Resignation, einer, der sich schreibend an den Verhältnissen reibt, um die Welt zu erhalten.“ (DLF).