Kraus, Karl, Schriftsteller (1874-1936).

2 eigenhändige Briefe mit Unterschrift

Nicht vorrätig

Beschreibung

An Maximilian Harden in Berlin: „Liebster und sehr verehrter H. H., hier eine von den zahlreichen ‚Stimmen‘ über Ihren Oster-Artikel in der N. Fr. Pr. Ist es nicht zu albern? Muß ich da doch einmal ein günstig klingendes Wort sagen. Sende Ihnen die Rede nur, damit Sie sehen, wie schablonenhaft die Leute in Wien – mir völlig fremde – denken. Ach, die schönen Tage von Berlin und Hamburg sind nun zu Ende. Welche Fülle der Eindrücke! Sie und die Ihren, Berger, [Theodor] Suses, Liliencron und Hamburger Erinnerungen – alles durcheinander! Intensiver hat wohl noch keiner Acht Tage durchgelebt. Aus einem Hamburger Tage – ich sollte ja schon am 22. in Wien sein – wurden natürlich vier! Es war zu schön, und ich möcht’s bald wieder erleben! Der arme Liliencron war ganz glücklich und überrascht, als ich ihm erzählte, daß Sie ihn mögen. Er hatte sich alles Mögliche eingeredet. Auf dem Anhalter Bahnhof versuchte ich vergebens, Sie telephonisch zu begrüßen; bekam keinen Anschluß. Meine Karte aus dem Waggon haben Sie wohl erhalten? Was ist’s denn mit Herrn Sigfried Jacobsohn? Er versprach mir, seine ‚Zeit‘-Affaire für die ‚Fackel‘ zu schreiben. Und nun sehe ich wieder ein Berliner Telegramm von ’sj‘! Hat er sich denn versöhnt? Von Herrn W. Fred [eig. Alfred Wechsler; 1879-1922] hörte ich heute ein merkwürdiges Stückchen. Ein Wiener Kunstkritiker […] hatte hier herumerzählt, daß Fred, der ein vermögender Mann sei, bei Kunstblättern ankomme, weil er sich anbiete, für billigeres Honorar als die anderen zu arbeiten. Fred, dem die Äußerung zu Ohren kam, klagte beim Wiener Bezirksgericht wegen Beleidigung. Der Beklagte führte Bruckmann (München) als Zeugen. Die Aussage Bruckmanns soll nun dermaßen ungünstig für Fred gelautet haben, daß sein Wiener Anwalt augenblicklich die Klage bedingungslos zurückzog. Ernstlich schreibe ich nicht, daß die Wiener Literatur gut in Berlin repräsentiert ist. Haben Sie schon über ein Thema nachgedacht? Und was ist’s denn mit den der ‚Fackel‘ zugedachten namenlosen Mittheilungen ‚in eingeschriebenem Brief‘, auf die sich die ‚Fackel‘ herzlich freut? In Hamburg lernte ich – nicht durch Berger – Excellenz Frau v. Cusserow kennen. Sie theilte mir ein Wort mit, das ihr selbst einmal Bismarck gesagt: ‚Wie schade, daß ich Harden nicht früher kennen gelernt. Ich hätte ihn zum Minister gemacht.‘ Nachträglich noch meinen herzlichen Dank für die liebe Gastfreundschaft und die schönsten Grüße an Sie und die verehrten Damen. Ganz Ihr treuer Karl Kraus.“ Ursprünglich herrschte Freundschaft zwischen Kraus und Harden; die „Zukunft“, ebenfalls im Wesentlichen Sprachrohr eines Einzelnen, war in vieler Hinsicht ein Vorbild für die „Fackel“, und Kraus hatte sich mit Harden vor dem Start der „Fackel“ beraten. Dann jedoch suchte Kraus den Konflikt mit Harden vor dem Hintergrund der von Kraus leidenschaftlich angegangenen Sittlichkeitsprozesse, wie sie für die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg typisch waren. Dieser Art von Prozessen widmete Kraus mit „Sittlichkeit und Kriminalität“ eine ganze Sammlung seiner Aufsätze, in denen er für das Recht des Individuums auf Lust und auf Verschonung von Sexualschnüffelei eintrat. So widmete er 1907 ein ganzes Doppelheft der „Fackel“ einer großen Abrechnung mit Harden („Harden. Eine Erledigung“), worin er auch bemüht ist, seine oben angedeutete nicht widerspruchsfreie Stellung zu Harden als frühem Förderer anzusprechen und mit seiner Entwicklung zu begründen. Die Auseinandersetzung mit Harden zieht sich allerdings auch noch durch die später erscheinenden Bücher „Die chinesische Mauer“ und „Literatur und Lüge“, da Kraus sich auf die außergewöhnlich geschraubte Sprache Hardens stürzte. – Minimal fleckig.