Beschreibung
An den Philosophen und Psychologen Karl Groos (1861-1946) in Giessen: „[…] Sie bestätigen mir, was bei erneuter Lecture Ihres ‚Beitrages‘ mir aus ihm selbst deutlich geworden ist, daß unsere Untersuchungen sich in grundverschiedenen Richtungen bewegen. Ihr Interessengebiet ist eine (psychologische) Morphologie der wissenschaftlichen Forschung, und wol selbst der erkenntniskritischen Forschung. Dahin gehört die Morphologie der Zusammenhänge zwischen ‚Ausgangspunkten‘ als angesezten ‚Gegebenheiten‘ und Zielstellungen, dahin auch, als ein merkwürdiger Motivationstypus im forschenden Denken […] Höchst interessant, wie alle Morphologie der Geistesgestaltungen, nur m. E. ganz außerhalb des Rahmens der Erkenntniskritik fallend (Morphologie der erkenntniskritischen Forschung keine Erkenntniskritik). Was mich anbelangt, so lebe ich seit Jahren ganz in der Erkenntniskritik und würde nie den Sa[t]z unterschreiben, daß die ‚interessantesten Probleme‘ (p 10) erst da hervortreten, wo man statt der abs. und ‚ursprünglichen‘ Gegebenheiten, die speciellen der einzelnen Denkarbeiten untersuche. (Letzteres im morphologischen Sinne verstanden). Im Übrigen beschäftigen die eigentlich erkenntniskritischen Ausführungen ihres Beitrages mein Interesse, nicht zum mindesten um der Gegensä[t]ze unserer Grundauffassungen willen. Wir hätten da manches schöne Thema für wissenschaftliche Unterhaltungen […] Haben Sie sich vielleicht inzwischen überzeugt, daß ich mich gar nicht als getroffen finden kann, da ich Evidenz in Log. U. II unter den erweiterten Begriff der Wahrnehmung bringe? Wahrnehmungen, Evidenzerlebnisse sind natürlich psychische Phänomene. Erlebnisse! Wo könnte ich das bezweifelt haben. Freilich habe ich guten Grund bei alledem zu sagen: Phänomenologie der Wahrnehmung, des Urtheils, der Evidenz etc. ist keine Psychologie – wofern wir ‚Psych.‘ in natürlichem Sinn verstehen als empirische Wissenschaft (Naturwissenschaft) von den ‚Erlebnissen erlebender Individuen.‘ […]“