Beschreibung
Hugo von Hofmannsthals Notate für einen Aufsatz über Walther Brecht, ein Blick in die Werkstatt des Schriftstellers. – Das verschollene Original zu einem geplanten Aufsatz über den Literaturwissenschaftler Walther Brecht. – Das Doppelblatt des Umschlags mit Hofmannsthals Beschriftung „Brecht.| Frühjahr 26. | (Ab-schied von Walter Brecht).)“ Am Seitenende rechts Bleistifteintrag von Walther Brecht „H. v. Hofmannsthal | scripsit. | WB“. Am Seitenkopf rechts Eintrag von Unbekannt „Original! | Unicum! | Wiederbringen, | hohe Belohnung!“ Der Umschlag (KA 2044) enthält die Blätter KHA 2045 (Tinte; Gr.-4°), 2046 (Bleistift; Gr.-8°; NICHT die Rückseite von 2045), 2047 (Bleistift mit Tintenzusatz; Gr.-8°; Rückseite mit Eintragung Hofmannsthals „dear Lady Ailsson“?), 2048 (Tinte; Gr.-4°), 2049 (Tinte mit Bleistiftzusatz; Gr.-4°) und 2050 (Tinte; Gr.-4°). Anlass zu den vorliegenden Notizen war der Fortgang Walther Brechts aus Wien nach Breslau, der mit dessen fünfzigstem Geburtstag zusammenfiel. Hofmannsthal hatte Paul Kluckhohn für ein Brecht gewidmetes Heft der „Deutschen Vierteljahresschrift“ einen Beitrag über „Walther Brecht als Lehrerpersönlichkeit“ versprochen. Dennoch musste er am 24. Juni 1926 dem Herausgeber gestehen: „ich muss es sagen: ich kann diesen Aufsatz über Brecht als Lehrer nun nicht schreiben, weder für die Zeitung noch für Ihr Heft 5 – ich kanns nicht […] Ich habe weder eine gelehrte Routine noch eine journalistische. Ich muss mir immer alles ganz aufbauen. Darum kostet mich jeder ernsthafte Aufsatz zehn Tage oder mehr. Ich muss mich ganz auf den Gegenstand, d. h. zuvor auf mich selbst besinnen […]“ Erhalten haben sich lediglich die vorliegenden Notate zu dem geplanten Aufsatz. – Druck (nach Kopien im FDH): Sämtliche Werke. Kritische Ausgabe (KHA) Bd. 38, S. 993-95, Nr. 2044-50 und Kommentar Bd. 39, S. 135. – „Die Unterscheidung nach einzelnen Lesern gehörte zu Hofmannsthals diskretem Stil, das Ganze nicht auszudrücken. So entstand in diesem Trachten eine vielfältige Welt der Gelehrten, mit denen Hofmannsthal sich umgab […] In seinen ‚Notaten‘ über Brecht kehrte Hofmannsthal die Blickrichtung um. Er betrachtete als Dichter den Gelehrten und entwarf im Frühjahr 1926 das Porträt eines Gelehrten als seines Dieners und zieht auch dessen Zunft in seine eigene Welt. Wieder variierte Hofmannsthal diskret seine eigenen Formeln: Nun geht er vom ‚Grundgeheimnis‘ aus, das in Sprachkunstwerken (in der »Sprache genialisch gebraucht«) lebt; das Numinose erhält dieses Mal einen nationalen Sinn, zu dem Brecht Zugang habe und den er vermittle und damit schaffe. In seinen Händen bleibe das Unaussprechliche behütet. Hofmannsthal schreibt: ‚heute zarteste Aufgabe: den Geist oder Genius der Nation zu behüten‘ und erläutert – mit einem Gedanken von Wilhelm Dilthey – dessen Struktur als einander sich kreuzende Überlieferungszeichen. Brecht wird in dieser Skizze selbst zu einem Medium, dessen Erkenntnismittel der Traum, die Scham, die Intuition seien, und der als ‚Lehrerpersönlichkeit‘ – die geistigen Traditionen vor einer antiquarischen Existenz (‚bloße Veillität‘) bewahre, indem er sie an seine ‚Generation‘ anschließe. Mit solchem ‚Zartsinn‘, statt in den kurrenten Begriffen einer philosophischen Literaturwissenschaft, wollte Hofmannsthal auch die eigenen Werke aktualisiert sehen.“ (Hugo von Hofmannsthal – Walther Brecht. Briefwechsel . Hrsg. von Ch. König und D. Oels. Göttingen 2005, S. 206). Zur Provenienz: „Gerty von Hofmannsthal schenkte nach Hofmannsthals Tod Brecht die Originale, quasi als Entschädigung für den nicht zustande gekommenen Aufsatz.“ (HKA, Bd. 39, 135). – Aus der Sammlung Dr. Heinz-Peter Linder (Bibliothekar; 1920-2000) in Bern, Besitzer einer der umfassendsten Hofmannsthal-Sammlungen unserer Zeit. – Kleine Randeinrisse und -läsuren.