Graf, Oskar Maria, Schriftsteller (1894-1967).

Maschinengeschriebener Brief mit eigenhändiger Unterschrift New York, 12. V. 1956, Gr.-4°. 4 Seiten. Briefkopf. Gelocht.

Nicht vorrätig

Beschreibung

Sehr langer uns schöner Brief an Cläre Jung, die Ex-Gattin des Schriftstellers Franz Jung, über dessen amerikanisches Exil: „[…] Es ist schon so, dass alles mehr und mehr, was in unserem Leben geschehen ist, zur Erinnerung wird, aber wenn ichs mir so überlege, komme ich mir vor, als wäre immer noch alles beim alten bei mir. Trotz mancherlei Alterskränkeleien (Ischiasanfälle, Atembeschwerden) sauf ich immer noch, lauf weiss Gott was für Mädchen nach und tob auch in der Stadt da herum, als wär sie München und ich noch zwanzig. Sonst aber führ ich ein ganz ordentliches, ziviles Spiessbürgerleben, hab mit meiner Frau eine nette Wohnung (zwei Zimmer, Bad und Küche, mit Fenstern gegen Süden und einen baumbestandenen grünen Hügel vor mir), koche nach dem Eingeständnis aller ausgezeichnet, arbeite an meinem New Yorker Roman, den ich hoffentlich bis Herbst fertigbringen werde, schreib auch ab und zu ein Gedicht oder einen Aufsatz und besuche an den Wochenenden bei schönem Wetter manchmal meine bayrischen Freunde, die in New Jersey ein Haus im Wald haben […] Wenn man uns ‚vergisst‘, so haben wir eben nichts Dauerhaftes geschaffen, und ob nun in irgendwelchen Literaturgeschichten etc. unsere Namen stehen ist doch scheissegal, die Hauptsache war und ist doch immer, dass wir das, was wir taten und schrieben für uns in der Zeit, da wir es machten, eine persönliche Beglückung war. Ich z. B. hab mich noch nie was drum gekümmert, was man in der Öffentlichkeit und in den Kreisen meiner Berufskollegen oder Leser hält, ich weiss auch kaum, was in meinen Büchern steht. Sie sind fertig, werden gedruckt und gehn mich nichts mehr an. Es scheint mir immer noch, als sei des Leben wichtiger als alles Schreiben und Sinnieren, man macht dieses letztere nur aus Lust und weil man der Meinung ist, irgendein Talent zu haben. Andere sammeln Briefmarken, verbeissen sich in Ideen etc. – es ist immer dasselbe. Jeden Augenblick ausgelebt bis zum Rand kommt mir sinnvoller vor. Seit längerer Zeit bastle ich an einem Aufsatz rum ‚Loblied auf das Vergessenwerden‘, aber sowas braucht bei mir immer sehr lang, denn bis jenes Gemisch von Lustigkeit und einigermassen Substanziellem rauskommt, das ist recht schwer […] Die Elsbet Bruck? Mein Gott, das war doch die hysterische kommunistische Kammerzofe, die überall belehren musste […] Jetzt gehts uns materiell besser, weil ich endlich was von meiner Wiedergutmachung erkämpft habe. Auch schreib ich viel für allerhand Zeitungen in Deutschland und der Schweiz […] Halten, liebe Cläre, tut sich recht wenig in der Literatur, von so mittelmässigen Schreibern wie ich einer bin, wird man sicher nach etlichen Jahren, wenn ich in der Grube bin, kaum den Namen noch kennen […]“