Beschreibung
An den Patrizier, Polyhistor und Sammler Christoph Gottlieb von Murr (1733-1811) in Nürnberg: „Euer Wohlgeb. sende mit größtem Dank die 2. Bücher zu Patois wieder, u. danke nochmals für alle die Güte u. Gefälligkeit, mit welcher Sie mir gestern eine so angenehme Stunde machten. Meine aus dem Catalog gezogenen Note ist, wie ich eben sehe, kaum der Rede werth. Dagegen aber habe ich eine sehr kühne Bitte, mir nur auf wenige Zeit ein Ex. der gestern gezeigten Sonetti, u. wenn ich nicht zu viel bitte, auch die Übersetzung des [Bernard de la] Monnoye u. den Forno des Casa mit der Uebersetzung […] gütigst mitzutheilen; alles soll unbeschädigt u. unversehrt wieder in Ihre Hände. Ueber das Praunsche Cabinet ist mir noch nichts versprochen – das Uebrige, wann ich E. W. nochmals zu sehen die Ehre habe. In Eil […]“ – Herder befand bei der Abfassung des Briefes auf der Reise nach Italien in Nürnberg. Am Vortage („gestern“) hatte er dort den Polyhistor und Sammler Christoph Gottlieb von Murr besucht. Am 14. August 1788 besuchte er ihn noch einmal. Das geht aus dem zeitlich nächstfolgenden Brief Herders aus Nürnberg vom 13. und 14. August 1788 an seine Ehefrau Karoline nach Weimar hervor. Herder war am 6. August 1788 von Weimar abgereist. – Um 1775 erschienen mehrere Werke über die französische Umgangssprache, etwa Jeremias Jacob Oberlins „Essai sur le patois Lorrain“ (Strasburg 1775; in der Anna Amalia Bibliothek vorhanden) oder François Louis Gauthiers „Recueil de noels anciens au patois de Besançon“ (Besançon 1773). – Bernard de la Monnoye (1641-1728) verfaßte unter dem Pseudonym Gui Barozai volkstümliche Lieder in der Umgangssprache Burgunds, dem Burgunder Patois, die große Popularität erlangten (mehrere Ausgaben in der Anna Amalia-Bibliothek). – Der junge italienische Schriftsteller und Priester Giovanni della Casa (1503-1556) gilt als Verfasser einer einstmals berüchtigten gereimten Satire „Capitolo del [auch: sopra il] forno“, in welchem er unter der allegorischen Bezeichnung des „Ofen“ bzw. „Backofen“ die verschiedensten menschlichen Sexualpraktiken beschrieb (in der Anna Amalia-Bibliothek finden sich die Sammelausgaben Neapel 1753 und Rom 1759-63). Das berühmte Praunsche Kabinett in Nürnberg, eine riesige Kunstsammlung des 17. Jhdts., wurde noch 1797 von Goethe besichtigt und 1801 an einen Kunsthändler verkauft. Die Familie hatte den bereits 1772 beschlossen, sich von der Sammlung zu trennen und ließ unseren Briefempfänger Christoph Gottlieb von Murr ein Verzeichnis erstellen. – Etwas gebräunt. – Nicht in der Gesamtausgabe der Herder-Briefe enthalten, nicht erwähnt und seinem Vorkommen nach auch bisher nicht bekannt (frdl. Mitt. von Dr. Günter Arnold, Weimar).