Beschreibung
An eine Freundin, vielleicht Schillers Schwägerin Caroline von Wolzogen (1763-1847), in etwas zittriger Altersschrift: „Sie bedauerten neulich, daß in unserem Zeitalter so manche Personen höheren Standes nachtheilige Beyspiele gefallener Sitlichkeit geben: Diese goldnen Worte reiner Tugendheit erweckten in mir das Verlangen kraftvolle Wahrheiten entwicklen zu können, um diesem Übel einigermaßen entgegen zu streben: Nach tiefem Nachsinnen leuchtete mir der Gedanke ein, daß die Sittlichkeit Blüthe einer geistigen Liebe ist. Unsittlichkeit ist Entweyung geistiger Liebe durch Mißbrauch sinnlicher Wollust. | Auch im hohen Beruf des hiligen Ehstandes zu Fortpflanzung des Menschen Geschlechts seye die rechtmäßige Sinnlichkeit der geistlichen Liebe untergeordnet. | In allen Verhälnissen des Liebens in Ehstand und Freundschaft ist die Reinheit der geistigen Liebe der Leuchtstern menschlicher Glückseligkeit. Der reine Funken geistiger Lieb entzündet sich augenblicklich durch wohlwollendes Zusammenstrahlen zweyer guter Seelen […] Erziehungs Anstalten solcher Art sind nothwendig, um tief sinkende Menschheit vor dem Verfall der Sitlichkeit zu reten. Die Geschichte eines jeden Staats beweist, wie nach der Siten Fall des Fall des Staats gewesen! Verehrte Freundin! ihre gehaltvollen Worte haben diese Gedanken geweckt in ihrem Verehrer Carl Dalberg.“ – Nach dem Sturz Napoleons verlor Dalberg im Jahre 1814 seine weltliche Herrschaft. Er flüchtete über Konstanz zunächst in die Schweiz und kehrte im März 1814 nach Regensburg zurück, verzichtete auf alle weltlichen Würden und Titel und beschränkte sich mit Erlaubnis des bayerischen Königs Maximilian I. auf seine Funktion als Administrator des Bistums Regensburg. „So wie Dalberg auch nach seinem Aufstieg und Wegzug den Kontakt mit Goethe aufrecht erhielt, nahm Goethe nach Dalbergs Sturz 1814 lebhaften Anteil an dessen Schicksal.“ (Wilpert, Goethe-Lex., S. 202). – Kleine Randläsuren.