Brod, Max, Schriftsteller (1884-1968).

Eigenhändiger Brief mit Unterschrift „Max Brod“. Prag, 1. XI. 1907, Gr.-8°. 3 Seiten. Doppelblatt.

Nicht vorrätig

Beschreibung

An den Schriftsteller Hugo Salus (1866-1929) über sein eben erschienenes Buch „Die Blumenschale“: „Ich habe viel Vergnügen von Ihrem neuen Buch gehabt und danke Ihnen sehr. Während ich die Verse las, geschah etwas Seltsames: Mir fiel ein, daß Sie mir dies und jenes von den schönen Gedichten schon vorgelesen haben ‚Die Serenade der alten Männer‘ ‚Charonsrufe‘ ‚Bauernkrieg‘ ‚Traurige Bergfahrt‘ ‚Schöne Zeile‘ ‚Die ewige Stimme‘ und viele andere. Und sofort traten mir die verschiedenen Gelegenheiten in den Sinn, ich hörte Ihre zärtliche Stimme, manchmal stockend, wenn das Stenogramm zu undeutlich war, ich sah mich selbst in all den mannigfachen Stimmungen bei Ihnen zu Gast, in Ihrer alten lieben Wohnung in der Heinrichsgasse, oder jetzt in dem freundlichen Zimmer am Ufer des Celakovskyparkes. Alles wurde in mir lebendig, meine Hoffnungen damals, meine verzweifelten Stunden, in denen Sie mich durch freundliche Worte getröstet haben, meine müden Augenblicke, mein Stolz und meine Scham. So ist es mir nun, als hätte ich diese Gedichte mit Ihnen erlebt, als enthielte diese ‚Blumenschale‘ auch die Blumen meiner vergangenen sorglosen jungen jungen Tage. Und so wie ich irgend ein Epheublatt aufhebe, das mir einmal die Geliebte abgepflückt hat, so wie ich mit heimlichen Schauern manchmal in einsamer Stunde meine alten Notizbücher oder Schulhefte durchlese, so stelle ich Ihr neues Buch mit tiefer Andacht zu meinen schwermütigen Reliquien. Ach daß alles so vorbeigeht! Wie viele schöne Stunden haben wir miteinander verlebt […]! Manchmal waren wir uneinig. Aber, nicht wahr, auch dann blieben wir uns bewußt, daß uns beide ein gemeinsames Streben nach Schönheit verbindet und in unsern besten Augenblicken aus dem Treiben dieser verhärteten zweckmäßigen (aber oft sonst nichts, rein gar nichts!) Welt ausgesondert … Ich wünsche sehr, daß Sie mich weiter lieb behalten wie ich sie und daß unser letzter Spaziergang (gegen den Friedhof zu) nicht der letzte bleibt. Es ist wohl das größte Lob, wenn man sagen kann, daß man ein Buch in einheitlicher Stimmung verläßt wie einen Tempel, ein Naturereignis. Und so geschah es mir diesmal, heute, an einem wehmütigen süßen sterbenskranken erhabenen Feiertags-Nachmittag. Ich fühle mich den Rätseln der Welt näher als sonst, ich bin matt und zufrieden und in einer ganz verklingenden Freundlichkeit. Details sind mir nicht bewußt; in einer sanften Einheit, einer blassen Mondscheibe ähnlich, runden sich diese Verse mit Erinnerungen und vagen Gefühlen zu einem vollkommenen Kunstwerk, das mir lieb ist …“ – Brod promovierte 1907. – Selten so früh.