Beschreibung
An Olga Salus (1874-1926), die Frau des Schriftstellers Hugo Salus (1866-1929) in Prag: „[…] Ich will Ihnen schon seit gestern für das außerordentliche Glück danken, dass Sie mir durch das ‚Tagebuch der Goncourts‘ bereitet haben. Ich kann sagen, dass ich noch nie etwas mit solchem Eifer in einem Zug zu Ende gelesen habe. Gleich Abend, nachdem es mir die Schwester gebracht hatte. – Und seither habe ich’s schon zwei Freunden vorgelesen, und sogar zu Hause beim Mittagessen in Teilen. – Dieses Buch hat mich ganz tief unten irgendwo aufgewühlt; ich werde Geld sammeln, um mir die vollständige Ausgabe französisch […] zu verschaffen. Ich bin überzeugt, dass Sie genauso wie ich eine große Periode der Menschheit lebhaft aus diesen Seiten rekonstruiert haben, eine Periode, die ich jetzt geneigt bin, für die größte der Dichtkunst überhaupt zu erhalten. – Ich habe seit einem Jahr kein Buch aus der deutschen Literatur gelesen (außer einigen Modernen) und sie erscheint mir im Vergleiche zur französischen lächerlich und geschmacklos, roh, borniert! Ich bedaure täglich, daß ich nicht Französisch schreibe. In der Sprache Flauberts hätte ich vielleicht alles sagen können, während ich in deutschen Sätzen immer um Plattitüden herumzugondeln das Gefühl habe. – Unlängst schlug ich einen deutschen Roman auf. Welch eine erbärmliche Prosa. Gleich auf der ersten Seite (von Kurd Lasswitz [1848-1910]) steht ‚im fahlen Dämmer‘. Das ist grammatisch vielleicht richtig, aber ‚der Dämmer‘ klingt […] wie eine Abendröte aus Salamischnitten oder so etwas. Und so etwas kann einem im Französischen nie passieren. Wie gepflegt und logisch und träumend dabei (diese drei Eigenschaften muß ein vollkommenes Kunstwerk haben, glaube ich) klingt jeder französische Satz. Aber diese Meister haben auch an ihrer Sprache gearbeitet wie Passagiere eines sinkenden Schiffes an den Pumpen. Gegen die Verrohung! Und immer zärtlich … Diese Geschichte von Flaubert, daß ihn zwei Genitive hintereinander unglücklich gemacht haben, ist etwas Rührendes und Großes … Ich lese jetzt seine Briefe. Er hat 20 Werke durchstudiert, um einen Satz richtig zu schreiben; von Sachlichkeit und Präzision erfüllt, wie er es immer verlangte. Er schreibt einen tadelnden Brief an Maupassant über eines von dessen Gedichten, in dem die Phrase avoir des ailes vorkommt: ‚Avoir des ailes! Potztausend. Dieser Wunsch ist sehr verbreitet. – Dann Je voudrais, je voudrais … Mit dieser Phrase kann man bis in alle Ewigkeit fortfahren, solange die Tinte reicht‘. – Ich labe mich an solchen Kritiken und werde täglich überzeugter davon, dass nur das Neue schön ist! Und diese Goncourts! Wie haben sie das Neue geliebt. Es waren herrliche Vorkämpfer. Und sie fanden das Neue schön, ob es […] eine japanische Bronce oder ein Dichter oder eine Dirne oder etwas ganz Unflätiges oder ein Witz war … Ich liebe sie schon und ich beginne heute ihren Roman Germinie Lacerteux zu lesen. Wenn er sie interessiert, werde ich Ihnen ihn (beachten Sie das häßliche Deutsch! Diese Assonanz, gegen die ich in der Prosa vergeblich ankämpfe und die Flauberts Abscheu war!) bringen. Sie sagen sehr nette Dinge über meine Sophie. Hoffentlich haben Sie recht mit Ihrer guten Ansicht. Jetzt bin ich mitten in meiner großen Arbeit des Romans [‚Schloß Nornepygge‘, 1908]. Er macht mich glücklich. Und ich bin ganz überzeugt, dass dieser für alle Zeiten stehn bleiben wird … Nur macht er mich jetzt zum Einsiedler, ich drehe ohne Ende meine Perioden hin und her, bemühe mich um eine ganz phrasenlose Prosa und habe von all diesen Mühen den Kopf so bedrängt, daß ich fast 12 Stunden täglich schlafen muß […]“ – Seite 1 etw. angestaubt.