Brahms, Johannes, Komponist (1833-1897).

Eigenhändiger Brief mit Unterschrift Wien, 18. III. 1876, Gr.-8°. 4 Seiten.

Nicht vorrätig

Beschreibung

Großer, sehr persönlicher Brief an seinen Freund Julius Allgeyer (1829-1900), in dem Brahms entgegen seinem Bekenntnis, er habe in seinem Leben „noch keinen vertraulichen Brief geschrieben“, seine innerste Haltung den engen Freunden gegenüber recht freimütig offenbart. Mit Anselm Feuerbach, Joseph Joachim und Hermann Levi („eine Auslese schöner junger Männer“ laut Kalbeck) verband Brahms eine jahrelange Freundschaft, die jedoch mehrere tiefe Krisen durchlief. Vor allem Levis offenkundige Sympathie für das Werk Richard Wagners beschwerten das freundschaftliche Verhältnis, da dieser „immer tiefer in die Wagnerei geriet“ (Kalbeck). Allgeyer hatte sich offenbar besorgt erkundigt, worauf Brahms antwortete: „[…] Von Herzen Dank für Deinen lieben Brief. Könnte ich so hübsch wie Du die Feder auf dem Papier spazieren lassen, wollte ich mir durch vertraulichstes Plaudern – eine Fortsetzung Deines Schreibens verdienen. Aber leider, ich habe in meinem Leben noch keinen vertraulichen Brief geschrieben, es fehlt vor Allem die Geduld. Im Grunde aber ist auf Alles was Du so geheimnißvoll und freundlich besorgt frägst, auch nichts zu sagen als daß gar nichts daran ist, daß gar nichts sich in mir und an mir geändert hat. Dagegen ist gerad was Du so beiläufig sagst, mir ganz neu und verlangt mich mehr davon zu hören. Daß Dein Verhältniß zu Br[ahms] schon gelöst und Du – aber jetzt müßtest Du weiter schreiben oder ich sehen! Deine Nachrichten über mich scheinen indeß so bedenklich zu lauten als sie unrichtig sind. Da sie ihren Ursprung doch wohl in meinem Verhältniß zu Joachim, Feuerbach und Levi haben, so will ich noch besonders wiederholen daß auch ihnen gegenüber sich in mir nichts geändert hat – als die Art des Umgangs meinerseits. Aber auch dies ist ja keine neue Erfahrung, ich übe sie höchstens entschiedner. Bei J[oachim] habe ich seit 20 Jahren nichts Neues gelernt. Dir brauche ich nicht auseinander zu setzen, wie man d[ie] beste, vortrefflichste Meinung von unsern Freunden haben kann u[nd] doch seine Ursachen, innigeren, vertraulicheren Umgang zu meiden. Ob ich zu philiströs, zu einseitig bin, ob ich bei Ja oder bei Nein mehr entbehre – ich meine Du kannst ganz an meiner Stelle weiter empfinden u[nd] denken. Feuerbach, dem so lang u[nd] sehr verkannten, von mir so hoch verehrten, sah ich gern viel nach. Aber nicht sowohl seine bodenlose Gleichgültigkeit gegen Alles und Jedermann als vielmehr seine überhöfliche, zutrauliche Freundlichkeit gegen jeden Beliebigen der ihm auf den Leib rückt, sich einfach zu ihm setzt, sind unerträglich. Ich sehe ihn fast täglich u[nd] begnüge mich leider ihn zu grüßen. Aber es ist schwer über Menschen zu schreiben – ich werde es nicht versuchen […]“. – Abgedruckt in: Alfred Orel, Johannes Brahms und Julius Allgeyer. Eine Künstlerfreundschaft in Briefen. Tutzing 1964. Laut Gorischek stammt vorliegender Brief wohl aus dem Nachlass von Hermann Levi. – Vgl. Max Kalbeck, Johannes Brahm. 2 Aufl. Berlin 1912, Bd. 2.1 und Bd. 3.1, S. 112 ff; Thussy Gorischek, Die klassischen Wiener Romantiker. Studio Edition 2008, S. 196; Malte Korff, Johannes Brahms. Leben und Werk, München 2008, S. 101f.